Auswirkung von Lärm

Interview mit O. Univ.-Prof. Dr. Zorowka
13 November 2018

Ab wann empfinden wir ein Geräusch als Lärm und wie wirkt sich dieser auf unser Gehör aus? Im Interview klärt Prof. Dr. Zorowka die wichtigsten Fragen rund um das Thema Lärm, wie sich unser Lebensstil auf unser Gehör auswirken kann und wie wir langfristigen Schäden vorbeugen können.

Professor Zorowka, welche Auswirkungen hat Lärm auf unser Gehör?

Lärm kann das Gehör grundsätzlich schädigen. Die Folgen sind morphologische, also strukturelle und/oder funktionelle Schäden im Ohr, wobei der Grad der Schädigung abhängig von der Intensität und Dauer des Lärms sowie der individuellen Empfindlichkeit auf Lärm ist.

Sehr laute Geräusche, wie ein kurzer, intensiver Knall, können die Funktion der Haarsinneszellen im Innenohr massiv beeinträchtigen und sogar eine andauernde Funktionsstörung hervorrufen. Bei einer Explosion kommt es durch die Druckwelle zumeist zusätzlich zu  mechanischen Schäden des Mittel- und Innenohres, das heißt das Trommelfell oder die Gehörknöchelchenkette mit Hammer, Amboss und Steigbügel kann beschädigt werden. Ein Innenohrschaden kann jedoch auch allmählich und progredient entstehen, wenn über einen längeren Zeitraum dauerhaft Geräusche mit Werten von 85 Dezibel und mehr auf das Ohr einwirken.

Die Anfälligkeit für Lärmschäden variiert individuell deutlich, abhängig von genetischen Faktoren, allgemeinem Gesundheitszustand, Ernährungsgewohnheiten, Alkoholkonsum, Rauchen und weiteren heute noch unbekannten Ursachen. Es wird angenommen, dass etwa 8 - 12% der Bevölkerung besonders anfällig auf Lärm ist.

 

In welcher Weise reagiert das Gehör auf Geräusche?

Reduziertes Hörvermögen nach einem lauten Geräusch ist als eine Anpassung des Ohrs auf die Umwelt zu interpretieren, damit hohe Lärmpegel als weniger unangenehm wahrgenommen werden. Zum Beispiel hat jeder von uns diese Situation schon einmal beim Betreten eines lauten Raumes erlebt: Anfänglich ist die Lautstärke unangenehm laut, der Grad des Unbehagens nimmt jedoch bereits nach ein paar Minuten ab und die Situation erscheint wieder akzeptabel. Dies ist nicht nur ein psychoakustisches Phänomen - es ist eine echte Verringerung der Empfindlichkeit des Ohres, die Lärm weniger wahrnehmbar macht. Diese Empfindung wird deutlich, wenn der laute Raum wieder verlassen wird. Man fühlt sich wie leicht vertäubt, (wie Watte im Ohr), oft verbunden mit einem leichten Tinnitus. Dieses „Defizit“ verschwindet in der Regel nach ein paar Stunden. Wenn das Gehör jedoch länger und wiederholt hohen Lärmpegeln ausgesetzt ist, können Schäden irreversibel werden – die Rede ist dann von einem Lärmtrauma.

 

Welche Anzeichen für ein geschädigtes Gehör gibt es?

Zuallererst: Ein Hörverlust ist zumeist unabhängig von der Art der Geräuschquelle, d.h. der einwirkende Schalldruck bestimmt das potentiell schädigende Maß. Unser Ohr unterscheidet nicht zwischen "schönem" und "lästigem" Lärm. Bei einer eingetretenen relevanten Hörschädigung fällt es dem Betroffenen zunehmend schwer, Gesprochenes zu verstehen, insbesondere in geräuschvoller Umgebung. Die Höranstrengung nimmt dabei zu. Neben den äußeren Haarzellen des Innenohres werden auch zunehmend die hinter dem Ohr liegenden (retrocochleären)  neuronalen Strukturen geschädigt.

 

Professor Zorowka, welches Ausmaß hat das "Lärmproblem" heute?

Lärm ist aus unserem täglichen Leben fast nicht mehr wegzudenken. Sinnbildich dafür ist der Begriff "socioacusis", welcher in unserer Zeit geprägt wurde. Der Begriff beschreibt ein Nachlassen unseres Hörvermögens ausgelöst durch unser Leben in einer permanent geräuschvollen Umgebung. Unser Ohr war ursprünglich ein Schutzorgan, das uns vor Gefahren in der Stille warnen sollte. Es ist beispielsweise kein Zufall, dass Wissenschaftler bereits in den fünfziger Jahren feststellten, dass die Hörschwelle – also die minimale Schallintensität die eine Person in der Lage ist zu hören - bei Menschen wohnhaft in städtischer Umgebung höher, also schlechter war, als die von Menschen aus ländlichen Gebieten. Seitdem hat sich die Lärmbelastung immer weiter erhöht und in der Tat: Das Hörvermögen junger Menschen Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte eine bessere Hörschwelle als das ihrer Altersgenossen in den folgenden Jahrzehnten. Wir sprechen von Luft- und Wasserverschmutzung, aber kaum jemand von der bereits existierenden permanenten schädigenden Lärmbelastung. Es gibt kaum noch einen Ort der Stille. Ganz ohne Zweifel hat unsere Lebensweise dazu beigetragen, dieses Phänomen zu verschlimmern: Ein hektischer Lebensstil und die Gewohnheit, viel Zeit außer Haus zu verbringen, setzt Menschen Reizen aller Art permanent aus - und das in Kombination mit einer Reihe von Faktoren, die unter Verdacht stehen das Gehör zu verschlechtern, wie übermäßiger Alkoholkonsum, Nikotinabusus, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und erhöhte Blutfettwerte.

Darüber hinaus hat sich das Freizeitverhalten mit regelmäßigem Konsum von elektronisch verstärkter Musik über Kopfhörer, in Diskotheken sowie auf Großkonzerten wesentlich verändert: In den meisten Bars, Diskotheken und Nachtclubs wird immer lautere Musik geboten, sodass Besucher die regelmäßig und für längere Zeit diesen Lautstärken ausgesetzt waren oder sind, bleibende und zunehmende Gehörschäden entwickeln.  Besonders in den letzten 20 Jahren ist es immer mehr zur Gewohnheit geworden, Musik über Kopfhörer zu hören. Dabei können  Spitzenschalldruckpegel von 120 Dezibel (dB SPL) auftreten, welche das Ohr massiv schädigen können. 90 % der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren nutzen Musik-Player und die Hälfte von ihnen gab auf Nachfrage an, Musik laut zu hören. Jeder dritte nutzt den Musik-Player sogar sehr oft.

 

Was kann getan werden, um Hörschäden durch Lärm zu bekämpfen?

Seit Jahrzehten gibt es arbeitsmedizinische Vorgaben zum Lärmschutz am Arbeitsplatz, für Freizeitlärm dagegen bis heute nicht. Die Schäden, die durch Lärm verursacht werden, können jeden von uns treffen. Die einzig wirksame Prävention ist deshalb, umfangreiche Informationen über Risiken und Schutzmaßnahmen zu geben, beispielsweise durch persönlichen Gehörschutz und regelmäßige professionelle Hörtests.

Meistens sind es Angehörige, die bemerken, dass die Hörleistung des Partners ungenügend wird. Dementsprechend leiden die meisten der erwachsenen Betroffenen mit Hörstörungen selbst zunächst gar nicht darunter. Sie ergänzen auch nicht korrekt Gehörtes mit ihrer Sprachkompetenz.

Im Falle eines eingetretenen relevanten Hörverlusts ist die Indikation zur Hörgeräteversorgung vom HNO-Arzt zu überprüfen. Sie  ist dann gegeben, wenn wichtige Messwerte im Ton- und Sprachaudiogramm unter einer bestimmten Schwelle liegen. Dann ist der Ausgleich des Hörverlustes  durch eine Hörhilfe indiziert. Hörgerätetechnologien haben in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung erfahren. Hörgeräte sind inzwischenminiaturisierte Computer, die neben hoch komplexer Technologie einen hohen Tragekomfort bieten und unauffällig getragen werden können. Neben Gesprächen in unterschiedlichen Hörsituationen, ist auch das Telefonieren  problemlos damit möglich und Sport kann im Wesentlichen ohne Einschränkungen betrieben werden. Diese zahlreichen Möglichkeiten bedeuten mehr Lebensqualität und sind deshalb kein Grund mehr, bei bestehendem Hörverlust mit der Hörgeräteversorgung länger zu warten. Denn eine fortschreitende Entwöhnung unseres körpereigenen Hörorgans führt zu zunehmend eingeschränkten Hörverarbeitungsprozessen. Zu spät mit Hörgeräten Versorgte beklagen dann oft, dass ihnen alles zu laut ist. Dies kann zu unbefriedigenden Hörerfolgen mit mangelnder Akzeptanz führen. Sprichwörtlich "je früher, desto besser" trifft es hier genau. Dabei ist mit dem Tragen von Hörsystemen nicht nur eine verbesserte lautsprachliche  Kommunikation im Alltag möglich, eine adäquate Hörgeräteversorgung schützt uns auch im Straßenverkehr vor möglichen Gefahren, was häufig nicht bedacht wird.

Die früher immer wieder angeführten hohen Kosten als Grund anzuführen, dass keine Hörgeräte getragen werden, ist nicht mehr gerechtfertigt, seit durch die Erhöhung  der Krankenkassen-Festbeträge Ende 2013 die Kassenleistungen fast verdoppelt wurden. Damit sind Hörgeräte mit allen notwendigen Ausstattungsmerkmalen für einen guten Hörkomfort, für jeden Betroffenen möglich  geworden und  Ausdruck des hohen Leistungsstandards des Gesundheitssystems in Deutschland.

Der Autor: O. Univ.-Prof. Dr. Zorowka

O. Univ.-Prof. Dr. med. Patrick Georg Zorowka ist Facharzt für HNO-Heilkunde sowie für Phoniatrie und Pädaudiologie. Er leitet seit 1996 die Univ.-Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen (HSS) und ist geschäftsführender Direktor des Departments HNO-HSS an der Medizinischen Universität Innsbruck. Neben anderen wissenschaftlichen Auszeichnungen wurde er im Jahr 2007 mit dem Förderpreis der Forschungsgemeinschaft Deutscher Hörgeräte-Akustiker (FDHA) ausgezeichnet.

Hörexperte Prof. Patrick Zorowka - Amplifon

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